In den USA ist der Mai der Monat des Bewusstseins für mentale Gesundheit. Welche Rolle spielt Deiner Meinung nach Klang bei der Aufrechterhaltung eines positiven kognitiven Zustands?
Oleg Stavitsky: Ich würde gerne sagen, dass die Menschen, weil die Welt im Moment so verrückt ist, sich fast schon mit Klang selbst medikamentieren. Mit all diesen Playlists da draußen suchen die Leute buchstäblich nach Wegen, um durch den Tag zu kommen und ihren kognitiven Zustand zu schützen, daher all diese Playlists und YouTube-Videos. Und hier ist Endel. Dies ist ein Projekt, das speziell für diese Art der Nutzung entwickelt wurde: Es ist wissenschaftlich entwickelt worden, um Menschen zu helfen, einen bestimmten kognitiven Zustand zu erreichen.
Erzähl uns ein wenig über die Wissenschaft. Du hast kürzlich in Zusammenarbeit mit dem neurowissenschaftlichen Datenunternehmen Arctop eine Studie in Auftrag gegeben, die dessen Technologie zur Messung und Analyse von Gehirnwellendaten in Echtzeit nutzt. Was waren einige der Erkentnisse und was verraten sie über die Art und Weise, wie Menschen heute Musik konsumieren?
OS: Das Ergebnis der Studie war dieses interaktive Schaubild, in dem man Sekunde für Sekunde heranzoomen und sehen konnte, wo ein Teil der Klangwelt oder Playlist beginnt und wie das Gehirn des Nutzers darauf reagiert. Wir waren in der Lage, die Gehirnwellenaktivität einer Person zu verfolgen. Wenn sie eine statische Playlist hörte, begann ein bestimmter Song und alles war in Ordnung, aber dann begann ein anderer Song und die Konzentration war dahin. Bei dem Übergang zwischen diesem und dem vorangegangenen Song, und beim Start eines neues Songs, tritt dieser natürliche Rückgang der Konzentration ein. Wenn man über Musik zur besseren Konzentration nachdenkt, muss man Menschen langsam in diesen Bereich bringen. Das funktioniert mit einer ganzen Menge an Musik, die Kunst besteht aber darin sie in diesem Bereich zu halten. Und das ist der wichtigste Teil. Und dafür braucht man Beständigkeit Man muss der Person folgen und ihre biometrischen Daten in Echtzeit betrachten, um sie ständig in diesem Bereich zu halten. Bei Endel geht es also nicht darum, dass einzelne Momente der Konzentration hoch sind, sondern darum, dass die Konsistenz der Konzentration viel höher ist als bei einer statischen Playlist.
Endel hat bereits mit den Elektro-Musikern Grimes und Richie Hawtin (aka Plastikman) zusammengearbeitet, aber für Euer nächstes Projekt schlagt ihr einen anderen Kurs ein: den Philosophen Alan Watts. Warum?
OS: Obwohl Alan Watts seit den 70er Jahren verstorben und praktisch betrachtet tot ist, haben wir Kontakt zu seinem Sohn, der jetzt die Alan Watts Foundation leitet. Das ist ein leidenschaftliches Projekt von mir. Wir haben zwei seiner wichtigsten Vorträge lizenziert, „World as Play“ und „Pursuit of Pleasure“. Diese Vorträge sind so relevant für unsere Zeit. Alan spricht darüber, wie wichtig es ist, durch das Leben zu tanzen, wackelig, beweglich und flexibel zu sein. Er spricht über Relativität: Wie man das Gute nicht kennen kann, wenn man das Schlechte nicht erlebt hat, warum es wichtig ist, dass die eine Seite die andere immer respektiert, dass die Welt nicht nur schwarz und weiß ist. Ich finde diese Begriffe sehr relevant für unsere intensive, überstimulierte und polarisierte Welt.
Wie hast Du deine extreme Leidenschaft für Musik entwickelt?
OS: Wir sind alle besessen von Musik — speziell von Ambient-Sound — weil sie, wie Brian Eno es treffend formulierte, ebenso ignorierbar wie interessant ist. Man merkt nicht einmal, dass sie da ist. Sie schafft einfach diese angenehme Atmosphäre, in der man sich befindet, aber sie nimmt einem nicht die Aufmerksamkeit, man verliert keine geistige Energie, um sie zu verarbeiten. Ich habe jetzt fast so etwas wie eine professionelle Störung Alles ist eine Klangwelt. Man sitzt irgendwo und hört was auch immer: Ein Zug fährt los, eine Tür knarrt, ein Kind weint. Alles verschmilzt für mich sofort zu einer Geräuschkulisse. Manchmal möchte ich das abschütteln, aber es ist unmöglich. Alles ist jetzt Musik für mich.
Welchen Wert hat es, ein Erlebnis zu bieten, das sich über mehrere Geräte im Leben eines:r Nutzers:in erstreckt?
OS: Es kann Dir den ganzen Tag über all diese Geräte folgen, und manchmal kann man es kaum hören. Was ich oft mache, ist Endel auf Relaxmodus zu stellen. Ich würde den Transparenzmodus auf meinen AirPods Pro einschalten und einfach meinem Tag nachgehen. Ich würde mit Leuten reden, ich würde Kaffee kaufen, ich würde mit Leuten interagieren. Aber es gäbe diese, wie ich es nenne, Mikrodosierung von Endel. Musik ist der einfachste Weg, seine Umgebung zu kontrollieren. Sie ist so mächtig, und es ist so einfach, den Kontext zu ändern. Es war ein Kinderspiel für uns. Die Idee ist also, dass Menschen Endel auf Ihrem iPhone starten und joggen gehen, und dann hat man es auf der Apple Watch. Dann geht man ins Büro und aktiviert die Geräuschunterdrückung und als nächstes hat man eine intensive Arbeitssitzung am Mac. In diesem Moment ist Endel ganz vorne mit dabei und schirmt einen von allem anderen um sich herum ab. Und dann kommt man nach Hause und sagt: „Hey Siri, ich möchte mich entspannen“, und es erscheint auf dem Apple TV. Das ist meine ultimative Vision für Endel: eine immer aktive Klangwelt.